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Glauben oder Vertrauen?

Eine Perspektive aus der Chinesischen Medizin


In der Auseinadersetzung mit der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) begegnet man unweigerlich Begriffen wie „Qi“, „Yin & Yang“, die "Fünf Wandlungsphasen" oder „Jing-Essenz“. Schnell entsteht dabei der Eindruck, es handle sich um rein spirituelle oder gar esoterische Konzepte. Tatsächlich jedoch steht hinter diesen Begriffen ein jahrtausendealtes System der präzisen Beobachtung und Beschreibung physiologischer und pathologischer Prozesse.


Als Spezialist und Dozent für chinesische Medizin und Akupunktur begegne ich immer wieder der Annahme, man müsse an „Qi“ oder „Yin und Yang“ glauben um ein guter Therapeut zu sein.

Diese Sichtweise teile ich ausdrücklich nicht.


Vielmehr vertraue ich auf die sorgfältigen Beobachtungen und Analysen der ehrwürdigen Ärzte und Wissenschaftler der chinesischen Antike. Ihre detaillierte Erforschung des menschlichen Körpers in Gesundheit und Krankheit – einschließlich aller Zwischenstadien, die wir heute als Pathophysiologie bezeichnen – bildet das eigentliche Fundament der TCM.


Konzepte wie „Qi“ oder „Yin & Yang“ dienen primär als Kategorien, mit deren Hilfe komplexe Funktionen und Zustände verständlich gemacht werden. Sie sind Werkzeuge der Kommunikation und ermöglichen Prognosen und Therapieansätze.

Qi“ etwa beschreibt keineswegs eine mystische Energie, sondern vielmehr spezifische physiologische Prozesse: die Nährstoffaufnahme und deren Umsetzung („Milz-Qi“), den Gasaustausch in der Lunge („Lungen-Qi“), die Blutzirkulation und emotionale Regulation („Herz-Qi“), Hormonsteuerung und Nierenfunktion („Nieren-Qi“) oder auch das vegetative Nervensystem und dessen Reaktionen auf Stress („Leber-Qi“).


Das wohl berühmteste Konzept der TCM: „Yin & Yang“, wird häufig missverstanden oder als mystisch-esoterisches Symbol fehlinterpretiert. Tatsächlich handelt es sich aber um eine präzise und äußerst praktikable Form, physiologische und pathologische Vorgänge im Körper zu kategorisieren und verständlich zu machen. Yin und Yang beschreiben kein metaphysisches Energiefeld, sondern dynamische Prozesse und Zustände, die auch moderne Wissenschaft klar nachvollziehen kann: So steht Yang für Aktivität, Wärmeproduktion, sympathische Aktivierung und katabole Stoffwechselprozesse, während Yin die regenerativen, ruhigen, kühlenden und aufbauenden Funktionen umfasst. Das Wechselspiel zwischen Yin und Yang zeigt sich etwa in Schlaf-Wach-Rhythmen, hormonellen Gleichgewichten oder der Thermoregulation. Somit liefert dieses Konzept der TCM eine funktionale und praxisorientierte Sprache, mit deren Hilfe TCM-Therapeuten effektiv kommunizieren und Behandlungen gezielt planen können.


Weitere Beispiele:

Der Begriff 精 „Jing-Essenz“ beschreibt grundlegende Aspekte der Genetik.

Das Konzept der Fünf Wandlungsphasen mit ihren hervorbringenden und kontrollierenden Zyklen ist eine wunderbare Analogie aus der chinesischen Medizin um das Konzept der Ganzheitlichkeit zu beschreiben. Ein Begriff der hierzulande gerne intensiv diskutiert wird. Die Fünf Wandlungsphasen beschreiben im wesentlichen wie die einzelnen System ineinandergreifen und sich gegenseitig beeinflussen.

Ein weiteres Beispiel wäre die chinesischen Vorstellung von „天人地“ – Tian-Ren-Di, der Verbindung von Himmel, Mensch und Erde, also den umgebenden Faktoren, die Einfluss auf die Gesundheit haben. Das ist vergleichbar mit modernen Konzepten der Epigenetik. Diese Analogien machen deutlich, wie nah die antiken Vorstellungen oft an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen liegen.


Auch das Konzept der Meridiane, oft kritisch beäugt, erhält unter anderem durch moderne Forschungen an Faszien wissenschaftliche Validierung. Faszienforschung zeigt auf eindrucksvolle Weise, dass das alte Konzept der Meridiane auf präzisen Beobachtungen beruht. Bereits vor tausenden von Jahren haben chinesische Mediziner erkannt, dass Körperstrukturen über bestimmte Bahnen und Züge miteinander verbunden sind und physiologische Prozesse dadurch maßgeblich beeinflusst werden. Diese Erkenntnisse fanden ihren Ausdruck im komplexen System der sechs Schichten, der zwölf Hauptleitbahnen sowie der außerordentlichen Leitbahnen.


Daher möchte ich betonen: Ich glaube nicht an „Qi“ als mystische Kraft.

Stattdessen vertraue ich der Expertise und Gewissenhaftigkeit unzähliger Generationen von Ärzten und Wissenschaftlern vor mir. Ihr gesammeltes, ständig überprüftes und verfeinertes Wissen bildet eine robuste Grundlage, auf der wir heute aufbauen können. Es bleibt dabei dynamisch und anpassungsfähig – stets offen für Integration neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse.


Und dieses Vertrauen in die Chinesische Medizin erlaubt es uns die bestmögliche Betreuung für unsere Patienten zu garantieren.



 
 
 

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